Das Bedürfnis, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, sie zu gestalten, ist uns allen immanent. Kreativität ist eine Urenergie, die dazu dient, sich mit der Welt in Verbindung zu setzen und - darüber hinaus – sie immer wieder neu zu erschaffen, zu gestalten. Was passiert, wenn wir uns so in den Fluss der Dinge begeben und die Welt nicht als fertig betrachten? Laut Rainer Maria Rilke landen wir damit bei der Kunst: „ Kunst heißt, nicht wissen, dass die Welt schon ist und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden. Lauter Möglichkeiten, lauter Wünsche.“ Nicht umsonst entstammt das Wort „Kreativität“ dem lateinischen „creare“, erschaffen.

Mit der Idee, die Welt tatsächlich neu zu erschaffen, von der Materie bis hin zu sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, stellt sich die Frage: Wie wollen wir wirklich leben?

Eine Gemeinschaft ist ein soziales Kunstwerk. Hier habe ich zusammen mit anderen viele Möglichkeiten, in einer „Mini-Gesellschaft“ das Miteinander unter Menschen experimentell zu gestalten. Auf unserem Gelände leben und arbeiten 110 Menschen. In dieser Größenordnung kann eine Gruppe viel mehr Bereiche des Lebens selbst gestalten als ein Ein-Familienhaushalt oder eine WG: von der ökologischen Energieversorgung über die Fragen, wie viel Zeit wir sozialen Prozessen widmen oder wie wir unsere Kinder erziehen.

Neben der künstlerischen Haltung, unsere soziale Welt gestalten zu wollen, ist auch das Aushalten und Ausloten von Komplexität ein gemeinsames Wesensmerkmal von Kunst und Gemeinschaft. Es gibt viele verschiedene Wahrheiten, und sie alle zusammen erschaffen das Ganze.

Nach Rainer Maria Rilke: „In der Kunst ist wirklich Raum für alle Gegensätzlichkeiten der inneren Verhältnisse, nur in ihr.“ Ich kann nur Kunst schaffen, wenn ich mich den Fragen aussetze, die mir begegnen, sowohl in mir als auch außerhalb von mir. Indem ich den Dingen ganz begegne, erfahre ich Sinn. Ich setze mich aus und auseinander, es setzt mich auseinander. In dem Zwischenraum zwischen mir und den Fragen entsteht die Kunst. Rilke beschreibt diesen Prozess so: „Kunstdinge sind ja immer Ergebnisse des In-Gefahr-Gewesen-Seins, des in einer Erfahrung Bis-ans-Ende-gegangen-Seins, bis wo kein Mensch mehr weiter kann. Je weiter man geht, desto eigener, desto persönlicher, desto einzigartiger wird ja ein Erlebnis, und das Kunstding ist die – notwendige, ununterdrückbare, möglichst endgültige Aussprache dieser Einzigkeit.“

Auch das Leben in Gemeinschaft führt mich radikal zu mir. Das Zusammenleben mit so vielen Menschen bedeutet, dass es immer eine Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gemeinschaft gibt. Diese kann nur in eine sinnvolle Balance kommen, wenn ich für meine Bedürfnisse die Verantwortung übernehme und gleichzeitig die anderen und ihre Bedürfnisse ernst nehme. Hier entstehen Kontakt und Auseinandersetzung. Ich setze mich dem aus, was mir begegnet, in mir und im Gegenüber.

Ich setze mich aus und auseinander, wir setzen uns auseinander und wieder zusammen. In dem Zwischenraum zwischen Menschen entsteht Gemeinschaft.

Kunst und Gemeinschaft sind Lebenshaltungen, die Offenheit benötigen (und erzeugen) und die Fähigkeit, mich selbst immer wieder in Frage zu stellen mit dem, was mir begegnet. Diese innere Wesensverwandtschaft führt zur Aufgabe, die Kunst in Gemeinschaft haben kann.

Zusätzlich können durch die Kunst zwischen Menschen Räume entstehen, in denen Radikalität, Sinn und die Schönheit der Vielfalt gefühlt werden. Kunst führt den Menschen zu seiner Essenz. Wenn diese geteilt wird, entsteht eine tiefe Begegnung. Wir kennen dies aus kreativen Aktionen: Ausdrucksformen jenseits der Alltagssprache schaffen die Möglichkeit, sich in vielfältiger Weise wahrzunehmen und dadurch verbunden zu fühlen.

Kunst entsteht aus den essenziellen menschlichen Menschen.

Wenn Menschen über ihre Essenz in Kontakt kommen, entsteht Gemeinschaft. So schafft Kunst immer wieder eine Brücke zwischen Menschen - und katapultiert sie in die Freiheit, weil sie einer zu einseitigen Wahrheit Vieldeutigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber stellt.

Wenn alle Menschen ihr kreatives Potenzial in dieser Freiheit nutzen, werden wir gemeinsam unsere Welt so gestalten, wie wir sie haben wollen. In der Gemeinschaft, der Gesellschaft und auf der ganzen Erde.